Verfolgung – Täuschung – Massenmord. Das Ghetto und Konzentrationslager „Theresienstadt“ und die NS-Verbrechen im Protektorat Böhmen und Mähren. Bericht über eine Gedenkstättenfahrt (17.-23.11.2019)
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- Erstellt: Freitag, 06. Dezember 2019
Sie hießen Isaac Cohen, Karl und Rosa Levy, Ilse Kassel, Lore und Werner Gabelin, Meta Hirsch, Hulda Hornstein... Fast 2.000 Menschen wurden aus den Städten und Gemeinden des Regierungsbezirks Düsseldorf in das damalige Ghetto Theresienstadt verschleppt. Die Shoah fand nicht nur im fernen „Osten“ statt. Sie begann hier vor unserer Haustür, in Düsseldorf, in Viersen, Oberhausen, Mönchengladbach oder Weeze.
Gemeinsam mit dem Bildungswerk der Humanistischen Union NRW und in Kooperation mit Zeitreisen e.V. hat der Erinnerungsort Alter Schlachthof eine Gedenkstättenfahrt in das frühere Ghetto und Konzentrationslager „Theresienstadt“ (heute: Terezín) organisiert. 21 Mulitiplikator*innen der politischen Bildung, darunter überwiegend Lehrer*innen aus dem ganzen Bundesgebiet, beschäftigten sich eine Woche lang mit den NS-Verbrechen, die im damals sogenannten „Protektorat Böhmen und Mähren“ begangen wurden.
Diese Reise war eine von mehreren von der Bundeszentrale für politische Bildung und dem IBB Dortmund geförderten Gedenkstättenfahrten für Lehrkräfte und Multiplikator*innen mit unterschiedlichen Zielen: neben Terezín waren dies Riga, Polen und in die Niederlanden – Orte die weniger bekannt sind als Auschwitz. Aber sie alle haben einen bedeutenden Platz in der Geschichte der Shoah.
Das Programm begann mit Besichtigungen verschiedener historischer Orte in Prag, das damals als „Stadt der SS“ galt. Hier führte Reinhard Heydrich als stellvertretender Reichsprotektor ein grausames Regiment, das auch nach dem erfolgreichen Attentat auf ihn nicht endete sondern von seinen Nachfolgern fortgeführt wurde. Heydrichs Attentäter versteckten sich tagelang in der Krypta einer Kirche, mitten im Zentrum von Prag. Alle entzogen sich der drohenden Verhaftung und Folter durch Suizid. Die Teilnehmer*innen besuchten das kleine Museum und die Krypta, die heute ein wichtiger Gedenkort des tschechischen Widerstands ist. Als Rache für das Attentat auf Heydrich brannten die deutschen Besatzer das kleine Dorf Lidice nieder, im Nordwesten von Prag gelegen, und erschossen sämtliche männlichen Bewohner. Die Frauen wurden in das KZ Ravensbrück deportiert, die meisten Kinder in das Ghetto Łódź, von wo sie bald darauf in das Mordlager Chełmno verschleppt wurden. Lidice und die heute dort existierende, beeindruckende Gedenkstätte waren folglich die nächste Etappe der Reise.
Kern der Gedenkstättenfahrt waren allerdings der Besuch des ehemaligen Ghettos Theresienstadt (tschechisch: Terezín) und die besondere Rolle, die „Theresienstadt“ im NS-Lagersystem spielte: als („Vorzeige“-)Ghetto, als Ort von „Täuschung und Vernichtung“, als Konzentrationslager und als Durchgangslager vor der weiteren Verschleppung in die Konzentrations- und Vernichtungslager, vor allem nach Auschwitz, Maly Trostenec und Treblinka. In den Jahren 1780-1790 als Festung eingerichtet, war Terezín später eine Garnisonsstadt. Im Rahmen der Gedenkstättenfahrt verbrachten die Teilnehmer*innen dort drei Tage, einen davon in der „kleinen Festung“, etwas außerhalb Terezíns gelegen. Die „kleine Festung“ diente in der Okkupationszeit als Polizei- und Gestapogefängnis, in dem über 30.000 Menschen überwiegend aus politischen Gründen inhaftiert waren. Die Gedenkstätte in der „kleinen Festung“ dient heute als ein zentrales Mahnmal für die tschechischen Opfer der deutschen Okkupation.
Das frühere Ghetto wird im Vergleich zur „kleinen Festung“ von deutlich weniger Menschen besucht– das Ghettomuseum gibt es erst seit 1991. Rund 160.000 Menschen wurden in den Jahren 1942-1945 im Ghetto „Theresienstadt“ inhaftiert. Nach den tschechischen Jüdinnen und Juden wurden ab Sommer 1942 Zehntausende Menschen aus dem Reichsgebiet und den Niederlanden nach Terezín verschleppt. Wo ursprünglich nur einige Tausend Menschen wohnten, waren in kurzer Zeit bis zu 60.000 Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht. Sämtliche Wohnhäuser waren überfüllt, ebenso die zahlreichen Kasernen, die Menschen hausten in Kellern und auf Dachböden, unter katastrophalen hygienischen Bedingungen. Die medizinische Versorgung war ebenso unzureichend wie die Versorgung mit Lebensmittel. Hunderte vor allem ältere Menschen starben in den ersten Wochen nach ihrer Ankunft, viele begingen Suizid, entsetzt und entmutigt angesichts des Alltags, der sie hier erwartete. In fünf Workshops näherten sich die Teilnehmer*innen anhand von biographischen und historischen Quellen einigen dieser Lebensgeschichten an.
Den Abschluss der Reise bildete die Rückkehr nach Prag, wo die Teilnehmer*innen sich auf die Spuren des „jüdischen Prag“ begaben. Eindrucksvoll war der Besuch in der ehemaligen jüdischen Jachymka-Schule, die heute eine Ausstellung und das Institut der Theresienstädter Initiative beherbergt. Unvergessen bleibt aber vor allem die Begegnung mit dem über 90jährigen Zeitzeugen Toman Brod, der seine Verschleppung nach Terezin und nach Auschwitz überlebte. Danach blieb noch Zeit für einen weiteren Gang durch das jüdische Prag. Neben dem alten jüdischen Friedhof blieb hier vor allem das zentrale tschechische Hololcaust-Mahnmal in der Pinkas-Synagoge im Gedächtnis. Die Namen aller von den deutschen Besatzern ermordeten Menschen sind auf die Wände im Innern der Synagoge geschrieben, auf dass sie niemals vergessen werden.
Die Lebenswege von Isaac Cohen, Karl und Rosa Levy, Ilse Kassel, Lore und Werner Gabelin, Meta Hirsch, Hulda Hornstein kann man nachlesen – in der Dauerausstellung des Erinnerungsortes Alter Schlachthof, der Ausgangspunkt der Deportationen dieser Menschen war, oder im nun erhältlichen Ausstellungskatalog.
Denkmal für die ermordeten Kinder von Lidice.
Grabanlage vor der "kleinen Festung" in Terezin, die während der deutschen Besatzung als Gestapo-Gefängnis diente.
Blick auf die "Hamburger Kaserne" im damaligen im Ghetto Theresienstadt . Hier kamen die Menschen an und wurden registriert. Manchmal mussten sie tagelang vor und in der Kaserne verbringen, bevor sie in ihre Unterkünfte eingewiesen wurden. Auch die Transporte in die Mordlager wurden hier "abgewickelt".
Um die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen, ließ die SS die Asche von mehr als 20.000 ermordeten Menschen in die Eger schütten. Eine Gedenkstele erinnert heute an dieses Massengrab im Fluss.
Eine Namenswand in der Pinkas-Synagoge in Prag, dem zentralen Holocaust-Mahnmal in der tschechischen Hauptstadt.
Der alte jüdische Friedof in Prag.